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Rechnender Raum und Digitalteilchen

Beitrag zum Symposium 2009
Konrad Zuse (19101995) Erfinder des Computers
40 Jahre Rechnender Raum

Uwe Renner

Auszug, Original erschienen in [6], S. 4658 (PDF-Kopie)

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Automatentheorie – Die Grundlage zur Beschreibung des Rechnenden Raumes als zellulärer Automat
  3. Digitalteilchen – Die „Elementarteilchen“ des Rechnenden Raumes
  4. Informationstheoretische Betrachtungen
    1. Informationsgehalt eines Digitalteilchens und Informationsumsatz
    2. Unbestimmtheitsrelation, Kausalität, Determination und Reversibilität, Wahrscheinlichkeit und Intensitätsdarstellung
  5. Digitalteilchen im zweidimensionalen Rechnenden Raum – Programmbeispiel
  6. Relativitätstheorie und die Problematik der Gitterstruktur
  7. Ausblick

1 Einleitung

Die Möglichkeiten abstrakter  informationsverarbeitender Systeme wie der Rechnende Raum zur  Beschreibung physikalischer Systeme beschäftigen Konrad Zuse nach eigenen Angaben seit dem Jahre 1964 [5]. Ein früherer Artikel mit demselben Titel wurde im Jahre 1967 veröffentlicht [2]. In seiner Arbeit „Rechnender Raum“ [3] aus dem Jahre 1969, d. h. vor 40 Jahren, fasste er die ersten Erkenntnisse für eine breitere Öffentlichkeit zusammen. Mit den Ergänzungen aus den Jahren 1993 und 1994 [4, 5], welche kurz vor seinem Tode im Jahre 1995 erschienen, wollte er dem Anliegen einer informationstheoretischen Betrachtungsweise der Natur nochmals Nachdruck verleihen. Hierin bezog er auch neuere Entwicklungen der Physik in seine Betrachtungen ein. Seine Hoffnung war es, dass Physiker die Sichtweise der Informatik bei der Formulierung physikalischer Gesetzmäßigkeiten mit einbeziehen, so dass hiermit neue Lösungsmöglichkeiten gefunden werden können.

Konrad Zuse stellte sich die Frage, ob die üblicherweise durch mathematische Modelle formulierten physikalischen Gesetze, welche durch den Computer berechnet bzw. simuliert werden, auch direkt durch adäquate rein logische Operationen ausgedrückt werden können. Denn die numerische Abarbeitung erfolgt algorithmisch nach einem Programm, welches für die jeweilige Hardware in Maschinenbefehle übersetzt werden muss. Somit ist die Lösung einer physikalischen Fragestellung eine Folge von logischen und von Speicheroperationen und im Sinne der Automatentheorie als Folge von Zustandsänderungen der hierbei beteiligten Register aufzufassen, deren Ergebnisse speziell Zahlen bei numerischen Berechnungen sein können. Man könnte folglich die Ansicht vertreten, dass nicht die mathematischen Formulierungen etwa in Gestalt partieller Differentialgleichungen die Welt beschreiben, sondern Algorithmen und insbesondere Regeln bzw. Befehle für die Automaten.

Im Vordergrund seiner neuen Sichtweise steht die auf begrifflicher Analogie begründete Beschreibung physikalischer Objekte und Vorgänge mit Mitteln der Informationsverarbeitung und insbesondere durch die Automatentheorie. Der Rechnende Raum ist als zellulärer Automat anzusehen. Unter dem hier verwendeten Begriff Rechnen ist allgemeiner die Abfolge von – nicht notwendig numerischen – Operationen zu verstehen. Mit der räumlich-parallelen und zustandsbasierten Sichtweise des Rechnens geht er weiter als mit den von ihm erfundenen und realisierten Computern mit Boolescher Schaltalgebra und zentraler, programmgesteuerter Befehlsverarbeitung, die noch heute Stand der Technik sind [1]. Nicht nur wegen dieser zukunftsweisenden Denkweise kann man Konrad Zuse als einen Visionär seiner Zeit bezeichnen. 

Als weiteres, grundlegendes Element benutzt Konrad Zuse das Digitalteilchen, welches eine Abstraktion von Bewegungszuständen physikalischer Teilchen darstellt. Ihre Bewegung im Rechnenden Raum erfolgt in mehreren Phasen in komplexen Mustern durch „Fortschalten“. Wie Konrad Zuse zeigt, können die Wechselwirkungen von Digitalteilchen räumlich nichtlokal über viele Zwischenschritte erfolgen. Digitalteilchen sind in der Regel keine Punktteilchen. Da zudem die Zustandsüberführungen mit der Zeit über komplexe Operationen erfolgen, ist der nächste Zustand ohne Kenntnis des Algorithmus oftmals nicht vorhersagbar und die Folge der Zustandsüberführung kann unscharf bzw. zufällig erscheinen.

Durch diese und weitere von Konrad Zuse eingeführten Begriffe wie Schaltvolumen und Informationsumsatz wird eine neuartige, informationsorientierte Beschreibungsweise natürlicher Vorgänge versucht. Seine Interpretation des Kosmos als gigantischer zellulärer Automat gehört konsequenterweise zu ebendieser Sichtweise. Die folgenden Bemerkungen möchten die grundlegenden Gedanken von Konrad Zuse zum Rechnenden Raum und zum Digitalteilchen in einer interpretierenden Weise näherbringen.

MATLAB™-Skript

Die Bewegung von Digitalteilchen (Monopods, Bipods) in der Ebene kann mit folgendem MATLAB™-Skript untersucht werden: Zuse.m

Galerie

Zu sehen sind die Anfangskonfigurationen für verschiedene Bewegungsmuster von Digitalteilchen wie sie in [3] erwähnt werden. Nach einem Mausklick auf das entsprechende Bild erfolgt deren zeitlich begrenzte Animation im Rechnenden Raum bzw. auf dem Rechenfeld (JavaScript muß aktiviert sein). Die Bilder im GIF-Format wurden mit folgendem MATLAB™-Skript erstellt: Zuse_gif.m

Bild 43: Bipod
Bild 44: Blinker, Nest
Bild 45: Nest
Bild 46: reaktive Kollision zweier Monopods zu einem Bipod

Bild 43: Bipod

Bild 44: Nest, Blinker

Bild 45: Nest, Ruhezustand

Bild 46: reaktive Kollision zweier Monopods zu einem Bipod

Bild 52: reaktive Kollision zweier Bipods zu einem Monopod

Bild 52: reaktive Kollision zweier Bipods zu einem Monopod

Bild 53: reaktionsfreie Kollision, Kreuzung zweier Bipods

Bild 53: reaktionsfreie Kollision, Kreuzung zweier Bipods

Bild 59: Bipod mit unterschied­lich langen Beinen

Bild 59: Bipod mit unterschied­lich langen Beinen

Literatur

[1]
K. Zuse: Der Computer – Mein Lebenswerk. Springer-Verlag, 1993.
[2]
K. Zuse: Rechnender Raum. 1967,  S. 336344. Unbekannte Quelle.
[3]
K. Zuse: Rechnender Raum. Schriften zur Datenverarbeitung, Band 1, Friedr. Vieweg + Sohn, Braunschweig, 1969.
[4]
K. Zuse: Cellular structured space (Rechnender Raum) and physical phenomena. Technical Report TR 93-12. Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB), December 1993.
[5]
K. Zuse: Discrete Mathematics and Rechnender Raum (Computing Space), Part 1. Cellular Structured Space (Rechnender Raum) and Physical Phenomena, Part 2. Technical Report TR 94-10. Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB), April 1994
[6]
U. Renner: Rechnender Raum und Digitalteilchen. In: Konrad Zuse (19101995) Erfinder des Computers – 40 Jahre Rechnender Raum – Symposium 2009. Leipziger Universitätsverlag, 2010, ISBN 978-3-86583-549-9.

© 2015  Dr. Uwe Renner