Das Synatech - Institut für Synergetik und nachhaltige Technologien

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Naturwissenschaftliche und technische Systeme im Fokus von Fremdorganisation und Selbstorganisation – Kontrollierte Selbstorganisation im Nanobereich

Beitrag zum Symposium 2005

Wolfgang Eisenberg, Uwe Renner

Auszug, Original erschienen in [1], S. 311 (PDF-Kopie)

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung: Die Selbstorganisation

  2. Die kontrollierte Selbstorganisation in leistungsfähiger und billiger Technik

  3. Fremdorganisation in überbrückender, treibender oder abbrechender Funktion

  4. Das Projekt: Modellierung und Simulation komplexer Prozesse durch nanozelluläre Automaten und ihre Manipulation durch Nanozelluläre Akteursverbände (NZVA)

  5. Sicherheit und Zuverlässigkeit – eine Einsatzgarantie der neuen Technik

  6. Schlussbemerkungen: Einstein, die Wahrscheinlichkeit und die Mechanik

1. Einleitung: Die Selbstorganisation

Unter Selbstorganisation versteht man heute in den Naturwissenschaften einen spontanen Ordnungsprozess, der zumeist in nichtlinearen dissipativen dynamischen Systemen fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht auftritt und zur Ausbildung räumlicher, zeitlicher und raum-zeitlicher Strukturen führt. Phänomene der Selbstorganisation spielen in vielen Bereichen der Natur eine bedeutsame Rolle. Heute gilt es daher, die Mechanismen der Selbstorganisation in nichtlinearen Systemen zu analysieren und in geeigneter Form auf technische man-made Systeme zu übertragen.

Der „Leipziger“ (Stuttgarter) Begründer der Synergetik, Herman Haken, startete seine begriffliche Diskussion – übrigens wie Albert Einstein – mit Alltagsbegriffen, hier für Organisation und Selbstorganisation, um daran anknüpfend, die wissenschaftliche Verfeinerung zu gewinnen und darzustellen. Nach seiner Meinung sprechen wir von organisiertem Verhalten, wenn jeder Akteur auf vorgegebene äußere Anweisungen, z. B. des Operators oder des Chefs, auf wohldefinierte Weise reagiert. Denselben Vorgang werden wir danach als selbstorganisierend bezeichnen, wenn keine äußeren Anweisungen gegeben werden, die Akteure vielmehr über eine Art von gegenseitigen Verständnis zusammenarbeiten, wobei jeder seine Operation wie bei der organisierten Herstellung eines Produktes verrichten. Diese etwas vage Alltagsbeschreibung der Organisation und Selbstorganisation präzisierte Haken im nächsten Schritt mit Hilfe strenger mathematischer Begriffe. Dabei müssen Ursachen und Wirkungen (Handlungsanweisungen) in mathematische Termini übersetzt werden. Zu beachten ist dabei, dass diese wissenschaftlichen Begriffe auf eine breite Klasse unterschiedlicher Systeme anwendbar sein sollen, nicht nur auf die soziologischen, sondern auch auf die physikalischen, chemischen und biologische u. a. Systeme.

Wie gesagt, von Organisation sprechen wir dann, wenn Systeme auf äußere Anweisungen reagieren. In vielen Fällen erfolgt diese Reaktion sehr schnell im Vergleich zur langsamen Änderung der steuernden Kraft. Dann kann man die sogenannte adiabatische oder quasistatische Näherung mit Erfolg verwenden. Das Versklavungsprinzip der Synergetik nutzt die Prämissen dieser Näherung zur Variablenreduktion; die „schnellen“ Variablen dominieren im temporären Systemverhalten die „langsamen“ Variablen. Im Falle der Selbstorganisation sind die steuernden Kräfte selbst Teil des Systems und erwachsen aus der inneren Dynamik. Sie sind keine vorgegebene Funktionen, sondern genügen Bewegungsgleichungen. Im idealen Fall kennt man diese genügend genau. Im nichtlinearen Bereich der Systeme können sich sogar „ausgedehnte“ kooperative Zustände bilden und stabilisieren. Das erleichtert ungemein das Verständnis für den Übergang von den vielen Variablen im Mikrobereich zu den wenigen Zustandsvariablen im Makroskopischen. Interessant ist natürlich der mesoskopische Bereich, vor allem der Nanobereich, seine Erforschung und technische Nutzung. Hier ist nicht nur das Problem der Variablenreduktion zu beachten, sondern auch die Stabilitätsfrage der mesoskopischen Zustände.

Nicht nur unsere Publikationsreihe „Synergie, Syntropie, nichtlineare Systeme“ ist auf synergetische, kooperative und nichtlineare Zusammenhänge im Makro-, Mikro- und Nanobereich fokussiert, sondern auch unser Projekt zur Anwendung zelluläre Automaten.

In Bereichen der Biologie werden die Mechanismen der Selbstorganisation besonders deutlich. Zu den Besonderheiten in lebenden Systemen gehört, dass für diese die Selbstorganisation ein Grundphänomen ist. Aus relativ einfachen molekularen Bausteinen entstehen quasi wie von selbst hochkomplexe und differenzierte Lebensformen mit wohlabgestimmten spezialisierten Untereinheiten, deren kooperative Eigenschaften neu und deutlich emergent sind. Die Nano-Biotechnologie ist ein bekanntes Beispiel. Ein weiteres Beispiel ist die Nanotechnologie.

Die Selbstorganisation per Exzellenz und materiell-geistig skaliert zeigt der Mensch: von der biochemisch dominierten Zellorganisation und -kooperation, über die gliederfunktionale muskelgesteuerte gangtypische Körperbewegung bis zu den selbst- und fremdorganisierten Hirnprozessen. Regeltechnisch gesprochen zeigt die Natur beim Menschen die Selbstorganisation als selbstorganisierende Kontrolle von hochkomplexen Regelkreisen. Die kontrollierte Selbstorganisation, d. h. das Einstellen bestimmter externer Kontrollparameter wird erst dann der Selbstorganisation in der Bio- und Nanotechnologie gleichwertig, wenn die Nanotechnik von übermorgen von einer Selbstorganisationskontrolle der kontrollierten Selbstorganisation sinnvoll und praktikabel sprechen kann. Ein im Traum vorgestelltes Beispiel wäre der von Herrn Dr. Thomas Runkler avisierte selbstwachsende molekulare Motor.

Literatur

[1] W. Eisenberg, D. Fey, K.-M, Meiß: Naturwissenschaftlich-technische Systeme im Fokus der Fremd- und Selbstorganisation – Symposium 2005. Leipziger Universitätsverlag, 2007. ISBN 978-3-86583-218-4


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